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Die Geschichte der Weberei

1874 – 1975 Weberei als Fabrik

Der wirtschaftliche Aufstieg Güterslohs seit der Industrialisierung geht wesentlich auf die Textilindustrie zurück. Greve & Güth nahm 1874 als erste mechanische Weberei den Betrieb auf. Im Gründungsjahr arbeiteten hier13 Menschen, 1909 waren es über 200 und 1939 447. Mit dem Niedergang der Textilindustrie erfolgte 1975 die Schließung. 140 verbliebene Arbeiter:innen verloren ihre Arbeitsplätze. Die Stadt erwarb die Gebäude.

1970 – 1978 Initiativen ringen um „Räume“

Erstmals gefordert wurde ein städtisches Jugendzentrum im Frühsommer 1970. Im September versandte eine Initiativgruppe einen Offenen Brief, der von einem breiten Bündnis unter anderem aus der Jungen Union und den Jusos, der Evangelischen und Katholischen Jugend, einer Gruppe Politseminar und der Zet-Redaktion unterzeichnet wurde. Bis dahin gab es Treffpunkte für die Jugend nur in kirchlichen Jugendheimen, Kneipen oder im Freien – etwa den Hertie-Vorplatz, die alte Rathaustreppe oder die Treppe der Martin-Luther-Kirche. Lokalpresse, Politik und Verwaltung zeigten sich offen. Im Herbst 1970 löst das Forum die Initiativgruppe ab. Das Forum war als offene Gesprächsrunde gedacht. Hier engagierten sich vor allem Jugendliche, die um 1968 politisiert wurden, viele waren bei den Jusos.

Hintergrund war, dass ein Jugendzentrum den nicht-organisierten Jugendlichen zur Verfügung stehen sollte, die Initiativgruppe sich jedoch gerade aus Vertretenden verschiedener Organisationen zusammensetzte. Das Jugendzentrum ließ auf sich warten. Im Juni 1971 eröffneten Schüler:innen des ESG daher selbst die Teestube am Dreiecksplatz. Die Teestube blieb etwa ein halbes Jahr geöffnet, bevor Mängel im Brandschutz zur Schließung führten. Für Empörung sorgte die Schließung nicht, denn im Oktober 1971 hatte die Stadt vermeldet, dass ein Jugendzentrum in der ehemaligen Näherei Büttner in der Kaiserstraße 25 eingerichtet werden sollte. Das Forum forderte Mitsprache und tatsächlich wurden Forums-Jugendliche in den Jugendzentrumsausschuss berufen. Doch die lange Wartezeit und Unklarheit über den Planungsstand sorgten im Sommer und Herbst 1972 für neuerlichen Unmut unter den Gütersloher Jugendlichen. Es folgte eine gewisse Radikalisierung auch mit Protestaktionen gegen die Stadt.

Da die Umbauarbeiten in der Kaiserstraße noch Zeit brauchten, sorgte die Stadt für eine Zwischenlösung. Am Hertie-Vorplatz stand ein Gebäude leer, in dessen Keller sich öffentliche Toiletten befunden hatten. Die Stadt nannte die Räume „Jugendcafé“, die Jugendlichen sprachen vom „Jugendklo“. Jenes Jugendklo sorgte nicht für weniger, sondern für mehr Proteste.

Im Januar 1974 eröffnete schließlich das Jugendzentrum Gütersloh (JZG). Es wurde zur Anlaufstelle für die gesamte Jugend. Viele junge Migrant:innen – Nachkommen der damals sogenannten „Gastarbeiter“ – besuchten den Cafébereich. Früh kamen aber auch Anhänger der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und rechte „Skinheads“. Sie randalierten und provozierten Prügeleien mit den Migrant:innen. Zwar gab und gibt es ein starkes Engagement der Gütersloher Stadtgesellschaft gegen rechts. Doch im JZG wurde das Problem erst in den 1980er Jahren ernster genommen. Die politisch linken Jugendlichen verabschiedeten sich in Richtung Alte Weberei.

1975 wurde mit der Schließung der Weberei Greve & Güth ein Gelände von 18.000 Quadratmetern Größe frei, das fast zur Hälfte bebaut war. Die Stadt plante den Abriss für Parkplätze. Widerspruch kam 1979 vom Aktionskomitee Rettet die Fabrik! Es erreichte die Bestellung eines Baugutachters durch den Rat. Anschließend gründete sich im März 1980 der Alte Weberei e.V. und legte im September ein Nutzungskonzept als Soziokulturelles Zentrum vor. Der Verein wollte weg von „teuer ausgestatteten Räumen“, die „Schwellenängste erzeugen“, weg von einer „Kultur der Perfektion“, die „nur konsumiert, aber nicht selber gemacht wird“, weg von der „elitären Repräsentationskultur“ in Stadthalle und Theater. Das Nutzungskonzept versprach Raum „für handwerkliche und künstlerische Hobbys“. Außerdem sollte es Schauspiel und Musik, Film- und Diskussionsveranstaltungen, Ausstellungen und sogar Märkte geben. Die Alte Weberei wurde im Verlauf tatsächlich zum Ort einer Kultur, für die es bisher kaum Raum gab. Die ursprüngliche Idee des Selbermachens verlor allerdings über den Erfolg des Programms an Bedeutung. Die Wichtigkeit, die die Kultur für die Finanzen des Zentrums entwickelte, zog zudem eine Professionalisierung zulasten des ehrenamtlichen Engagements nach sich.

1979 – 1984 Ringen um Webereigebäude und Eröffnung als Bürgerzentrum

Im September 1979 wurde der Bebauungsplan 220 zur Errichtung eines Senior:innenzentrums und der neuen Stadtbibliothek bekannt. Die Einrichtungen benötigten Parkplätze, die auf dem Weberei-Gelände vorgesehen wurden. Damit stand der Abriss der Weberei bevor. Zunächst das Aktionskomitee Rettet die Fabrik! und etwas später der Alte Weberei e.V. wehrten sich gegen die Pläne. Die Engagierten forderten den Erhalt und die Umnutzung zu einem Soziokulturellen Zentrum. Für sie war die Weberei ein industriegeschichtliches Denkmal. Sie hoben die baulichen Besonderheiten hervor, etwa das verziegelte Mauerwerk und die verzierten Giebel. Doch wichtiger als die Denkmalpflege war die Schaffung eines innerstädtischen Treffpunkts mit sozialen Einrichtungen und nicht-kommerzieller Kultur. Dabei war der Einzug in die alten Mauern auch als Gegenentwurf zu vornehmen städtischen Kulturveranstaltungen zu verstehen, wie sie in der Stadthalle angeboten wurden. Erhalten blieben schließlich ein Kontorgebäude mit drei Geschossen, ein großer und ein kleiner Webereisaal sowie ein Kesselhaus.[i]Der gegenüberliegende Bauteil 5 wurde zunächst nur konserviert, später zog hier das Jugendzentrum ein.

Ähnlich den Erwägungen zur Innenstadt als Aufenthalts- und Kommunikationsort sollte die Alte Weberei „öffentliches Zuhause“, der gastronomische Bereich „Ort des Kennenlernens“ werden. Aktionskomitee und Verein hatten früh Erfolge erzielt, dennoch blieb der Weg zum „Bürgerzentrum“ lang. Diskutiert wurde nicht das Konzept, sondern der Kostenumfang. Das von der Stadt beauftragte Gutachten kam auf fast 10 Millionen DM. Für das Gegengutachten des Vereins war diese Zahl „extrem überzogen“. Die Kostenfrage galt so auch nach zwei Gutachten als ungeklärt. Am 9. Mai 1981 veranstaltete der Verein ein Straßenfest, zu dem fast 1.000 Menschen kamen. Kurz darauf beschloss der Rat, von weiteren Gutachten abzusehen. Die Frage sollte „politisch entschieden“[1] werden. Fürsprechende verwiesen auf die viel höheren Ausgaben für Straßenbau und Stadthalle. Am 26. Juni 1981 beschloss der Rat mit den Stimmen von SPD und FDP den Erhalt. Am 14. Mai 1982 folgte – wieder durch SPD und FDP und gegen die CDU – der Entschluss für das „Bürgerzentrum“. Eröffnet wurde das Bürgerzentrum Alte Weberei am 13. Januar 1984.

1985 – 1995 Bürgerzentrum „Alte Weberei“

Anders als das Jugendzentrum wurde die Alte Weberei nie als städtische Einrichtung gefördert. Der städtische Zuschuss war auf maximal ein Drittel der Ausgaben festgelegt worden. Den Rest musste der Verein erwirtschaften. Engagierte waren daher gezwungen, auf Fragen der Wirtschaftlichkeit einzugehen. So sollten gewerbliche Nutzungen zugelassen werden sowie die kulturellen und gastronomischen Angebote Einnahmen bringen. Doch die Hoffnungen auf kostendeckenden Betrieb erfüllten sich nicht. Seit 1989 gab es Verluste, 1995 galt die Alte Weberei als pleite. Der Verein stimmte seiner Entmachtung zu.

Nach der Eröffnung stand die Alte Weberei vor der Frage der Mitbestimmung. Der Verein hatte früh ein Hausrat-Modell entwickelt. Doch haftbar blieb der Vorstand. Der Mitbestimmung wurden daher umkämpfte Grenzen gesetzt. Als gelungenes Beispiel für die organisierte Offenheit gilt das Sonntagsfrühstück. Hier erledigten Ehrenamtliche die Vorbereitung und das Aufräumen, das Angebot richtete sich nicht an eine bestimmte Zielgruppe. Günstige Preise ermöglichten allen das Mitfrühstücken. Auch die Öffnung für ältere Menschen gelang mit dem Tanzcafé. Im Frauencafé fanden viele engagierte Frauen einen Raum. Der ehrenamtliche Café-Betrieb allerdings kam nach drei Jahren zum Erliegen. Der Jugendbereich enttäuschte. Die Soziale Arbeit hier unterschied sich kaum vom städtischen Angebot. Dennoch besuchten die bildungsbürgerlich-politischen Jugendlichen eher die Alte Weberei als das JZG, was zu einer gewissen Trennung der Jugendräume führte. Als der Verein seinen Sozialpädagogen 1987 aus finanziellen Gründen entließ und den Jugendbereich schließen wollte, kam es zu einer vierwöchigen Besetzung.

1989 entschied die Mitgliederversammlung (MV), die Besuchenden vor Entscheidungen des Vorstands nur noch anzuhören – der Anfang vom Ende der Mitbestimmung. Zur Krise der Mitbestimmung kam rechter Druck. Seit etwa der Mitte der 1980er Jahre drangen „Skinheads“ auch in die Alte Weberei.

1996 – 2025 Wandel zu „Die Weberei“

Übergangsweise übernahm der als „Sanierer“ bezeichnete Geschäftsführer des Krefelder Beratungsunternehmens Culturplan, Peter Vermeulen, die „Umstrukturierung“. Vermeulen hatte in der Anfangszeit der Alten Weberei bereits als ihr erster Geschäftsführer gearbeitet. Anschließend baute er Culturplan auf und kehrte mit dem Unternehmen nun nach Gütersloh zurück. Eine schmerzhafte und konfliktreiche Rückkehr: Von elf Hauptamtlichen entließ er vier. Für die verbliebenen Mitarbeitenden gab es flexible Löhne, die vom Betriebsergebnis abhingen. Der gastronomische Bereich wurde ausgebaut, bis 1997 verdreifachte sich der Umsatz. Das kulturelle Angebot beschnitt der „Sanierer“ gegen Widerstände. Die Verschlankung spiegelte sich auch im Namen: Aus der Alten Weberei wurde Die Weberei. 1996 machte sie keine Verluste mehr. Politik und Lokalpresse atmeten auf, doch es gab auch Kritik: „Bei einer ausschließlichen Ausrichtung […] auf Profit und Umsatz“, so drei Ehrenamtliche in einem Offenen Brief, „betrachten wir die Sanierung als gescheitert.“

2003 zog das Jugendzentrum aus der Kaiserstraße in den Bauteil 5 der Weberei. Bis dahin war das Jugendzentrum eindeutig Ort junger Menschen mit Migrationsgeschichte.

2007 geriet die Weberei erneut in Schwierigkeiten und meldete Insolvenz an. Eine Initiative setzte sich für den Weiterbetrieb durch einen neuen Verein ein. Der Insolvenzverwalter hingegen verwies auf die Gläubiger, die eine Kapitalgesellschaft bevorzugten. Eine gemeinnützige GmbH könne flexibler agieren als ein Verein und weiter städtische Zuschüsse beziehen. So kam es dann auch. 2007 übernahm mit der PariSozial – eine gGmbH des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes – die Weberei.

Als die Verschuldung 2013 erneut stark anstieg, wurde die PariSozial von zwei Kulturmanagern abgelöst. Die aus Gütersloh stammenden Brüder Tim und Steffen Böning setzten sich mit ihrer Bürgerkiez gGmbH gegen weitere Bewerbungen durch. Die Böning-Brüder standen für eine weitere Professionalisierung des kulturellen Angebots und eine Veränderung der Gastronomie mit einem hochwertigen und hochpreisigen Bistro. Zwar sah ihr Konzept auch einen „Bürgerbeirat“ vor, doch ging hier mindestens teilweise die ursprüngliche Idee des Bürgerzentrums als öffentliches Zuhause weitgehend verloren.

2025 Was nun? Was tun?

Jüngst geriet die Weberei erneut in die Schlagzeilen. Die Bürgerkiez gGmbH kündigte zu Anfang des Jahres 2025 den Mietvertrag. Die Stadtverwaltung plant 2026 die Durchführung von Sanierungs- bzw. Renovierungsmaßnahmen am Gebäude. Gegenwärtig bereitet die Stadt unter Beteiligung der Bürger:innen eine Neuausrichtung vor.
Auch der Weberei-Förderverein hat sich nach einer längeren Ruhezeit wieder reaktiviert, um sich bei der neuen Entwicklung und zukünftigen Ausrichtung der Weberei einzubringen.